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Essays, Ausschnitte

das wir muss sterben und es weiß nichts davon. wir haben etwas gemeinsam, sagt es: wir sind immer andere, aber wir sind da. das reißt ein stück aus sich heraus und schleudert es den anderen hin: friß oder stirbt. das wir bildet immer kollektive und zieht linien auf, und dann reicht es dir die hand und es war nur ein scherz. (das wir muss sterben und es weiß nichts davon, veröffentlicht in einem spielzeitheft)

die dinge haben einen schatten, (…) es ist der schatten des menschlichne, das sich nach mehr sehnt. (aus: von den dingen, 2019, unveröffentlicht, für eine ausstellungskonzeption)

sie (die mitte) blickt an sich herab: bin ich tot, bin ich angekommen in der härte der welt, im fleischkampf der geschichte, das bin ich wohl. (aus: es wuchert die wahrheit, es teilt sich die welt, 2019, unveröffentlicht, von einem essaiband zurückgezogen)

ich kann durchaus etwas sagen zum körper. also wenn sie kurz zeit haben. zum körper wird viel gesagt, aber jetzt sag ich auch einmal was. ich sage jetzt einfach was dazu, zum körper. als erstes möchte ich mal sagen, ich hab ja meinen körper selber immer dabei, darum erklär ich ihnen das jetzt. (der frauenkörper im multikopf, veröffentlicht in logbuch suhrkamp)

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DAS WIR MUSS STERBEN UND ES WEISS NICHTS DAVON

das wir muss sterben und es weiß nichts davon. wir haben etwas gemeinsam, sagt es: wir sind immer andere, aber wir sind da. das reißt ein stück aus sich heraus und schleudert es den anderen hin: friß oder stirbt. das wir bildet immer kollektive und zieht linien auf, und dann reicht es dir die hand und es war nur ein scherz.

das ist total needy, so ein wir. das greift immer mit seinen tentakeln nach einem, so ein wir, oder es schiebt einen weg, da wird gezerrt und gezogen an einem, nur weil man einen körper hat, oder nur, weil man da ist. geht man zwei schritte weiter, dann gehört man vielleicht schon nicht mehr dazu, oder dann doch wieder, da kennt sich niemand aus, das ist immer verhandlungssache, so ein wir, das muss sich ständig verhandeln, verhandeln und verhacken und vermischen und abschmecken und sich selbst nicht kennen und sich selbst kennen und ganz anders sein und sich berufen und sich nicht berufen. da ist ja alles total kompliziert, da tut man besser so, als kenne man sich aus! ein wir kann sich auf eine vergangenheit berufen, ach, war das damals schön! oder: nein, was haben wir uns damals bloß gedacht. oder auf eine zukunft: was könnten wir alles noch machen! – was könnten wir alles noch sein! weißt du noch? wer war das eigentlich, damals? oder auch: was man alles hätte sein können. was man nicht alles hätte sein können. was nicht alles hätte können sein. was nicht alles hätte sein müssen. was alles nicht hätte sein müssen. das muss ja alles nicht sein.

oder auf was beruft es sich noch, auf ein jetzt: sind wir nicht alle so wunderbar zerbröselt? oder wer bist du? zum beispiel. das wir ist mitgegangen, mitgefangen, das wir ist in den raum gegangen, in den gemeinsamen vorstellungsraum, das wir ist durch einen gemeinsamen raum gegangen, durch eine gemeinsame zeit, oder nicht.

(Textausschnitt)


KNOCHEN +

der wind ist langsam durch die wälder gegangen, das meer hat leise gegen die brandung geschlagen, die sonne hat mit festen armen zugedrückt, die sonne hat sich selbst mit festem griff umarmt. licht hat sich auf eine fläche gelegt für kurze zeit: die kurze zeit von äonen. die sonne hat gekichert, der wind hat aufgehorcht. die farben am rasen sind aufgeplatzt, als wären es blumen. das meer ist untergetaucht, die atmosphäre war in glasklare flächen zerteilt: ein mensch ist gekommen, und hat sich auf den rasen gelegt. ein knochen ist vom himmel gefallen. es wurde eine frage gestellt und eine antwort gegeben: beginn der zeit. ich streiche mit der hand durch das gras, ich wische die schläfrigkeit in den boden. wer legt einen farbfilter um die welt, wer reißt die erste seite aus dem buch, wer misst die wärme des bodens? in welcher zeit sollen unsere worte auf den rasen fallen, in welcher zeit setzt du deine hand darin ab, wühlen deine finger in dem wort, das jetzt hart auf dem boden liegt. was ist das für ein ort, der so die wärme der sonne speichert, die du mit deiner hand bedeckst? ich erinnere mich an einen langen tisch, da saßen die titanen, und einer hat einen knochen geworfen, weit hinein bis in die welt. einen von uns traf er am kopf, einer von uns trägt seitdem eine wunde, aus der das blut sickert, in eine sanduhr hinein. alle orte sind fern. alle orte sind wellen, die klopfen an deine stirn. alle orte sind namen, die rufen dir nach, aus der ferne zu: weißt du nicht, ich bin, wo du nicht bist. auf dem rasen brennt ein kreisförmiges band: die sonne hat es für uns hingelegt. wer hebt es auf, wer legt es dem anderen zuerst ins haar und wer bleibt vom feuer verschont? mit blick von oben liegt ein see, auf dem das licht schwimmt, das graue auf dem spielen die wellen ihr spiel. der see winkt uns zum mit den kleinen wellen seiner haut, mit der beweglichen krümmung seiner glitzernden glieder: so sahen wir von weit oben den see. oder warst du es, der sich ins wasser geworfen hat, um mir zu winken, wie ein knochen, der abfiel vom langen tisch der titanen? in der ausgestreckten hand meines körpers liegt eine mulde: die sonne stülpt eine kleine wärme hinein, bevor die mulde es merkt. wo ist der schlagschatten hin, den die dinge der erde zuwerfen? wir machen uns auf die suche. wo ist mein eigener schatten hin? ich werde ihn finden, nur um das licht nachzuwerfen, das ich vorgefunden habe, nach dem aufwachen, in meiner hand. die sonne hat sich spiralförmig über den himmel bewegt: von einem langen tisch fiel ein knochen in den see: ein schatten entsprang, der schatten genug für die ganze erde war. schon lagst du dort, wo der tiefste schatten ist und der beste blick hin zum see. 

(unformatiert, aus: Gedichte, abgedruckt in flugschrift Nr. 19)


DER LETZTE MENSCH

im schlaf bin ich den dingen nachgelaufen, die sich aufgelöst haben im tageslicht. mit meinem schatten habe ich die dinge berührt, und die dinge berührten mich. den früchten habe ich zugesehen, wie sie in ihrem eigenen schatten verroten. so ist das also, habe ich mir gedacht. der himmel hatte ein auge und blickte mich an. im traum bin ich von der brücke gesprungen im echten leben haben sie mich dann aus dem fluss gefischt. den körper habe ich in die welt getaucht, schatten habe ich auf oberflächen geworfen. der sonne habe ich zugesehen, wie sie strahlen niederwirft. dem schnee habe ich zugesehen wie er nicht auf den boden findet. die zeit habe ich über den boden kriechen sehen. die luft sich selbst umarmen. der mond konnte sich selten entscheiden, einmal war tag und einmal war nacht. die zeit sagte immer nur von hinten hallo, alles blühte auf, nur um zu verwelken. das leben ist immer sehr geheimnisvoll gewesen. aber deshalb ist man ja da. die arme habe ich um einen baum geschlungen. ein blatt habe ich mir zwischen die lippen gepresst und jemand anderem das haar aus der stirn gekämmt. einen traum habe ich losgelassen in der nacht nur um ihm nachlaufen zu können im wachen. über wiesen bin ich gelaufen und das grün der halme habe ich mir in die pupillen gestopft um es aufzuheben für daheim. die früchte habe ich auf die erde gelegt am abend habe ich falten bekommen. ich bin gelegen und gestanden und habe selten die erde berührt. ich bin sehr alt geworden. meine freunde habe ich vor mir sterben sehen meine kinder habe ich beerdigt. als erster wurde ich vierhundert jahre alt.den tieren gab ich namen, augen hatten sie schon. am ende bleibt alles ein großes rätsel. am ende bin ich über allem verzweifelt und habe mich in der küche erhängt. ich bin herumgehüpft und habe mich geschnitten und übergeben und habe mich verloren und wiedergefunden. den finger habe ich in die wolken gebohrt, das eigene leben an die zeit gehängt. purzelbäume habe ich ins gras geschlagen und schneisen in den ewigen schnee. in den tag habe ich hineingelebt, in die tiefe stunde hinein. beim fluss bin ich gestanden, die sonne kannte mein gesicht. der zukunft zugewunken hab ich wie ein irrer. wie viel kraft braucht man für ein leben, habe ich geschrien. ich bin meine eigene grenze. es ist alles so verdammt endlich, in dieser verdammten endlichkeit.

(unformatiert, nach Gott ist 3 Frauen, Theaterstück)


 DER FRAUENKÖRPER IM MULTIKOPF, logbuch suhrkamp onlinemagazin LINK >>>

was denkt sich der körper von sich selber eigentlich. das weiß man gar nicht so genau. weil der hat da vielleicht schon ein anderes verständnis davon, der hat da vielleicht immer schon ein anderes verständnis von sich. der sieht sich ja jeden tag. der sieht sich natürlich scheitern. scheitern und altern. der sieht sich grimassen ziehn, und lacht über sich selbst. ich meine, der macht einiges mit, aber wie lange.

vielleicht ist noch was anderes drin in dem körper, vielleicht ist da noch ein gehirn drin irgendwo, das auch mal rausschaut. hallo. oder eine wahrnehmung. oder irgendwas. vielleicht sitzt da irgendwo ein mensch drin, hallo, ein mensch, manchmal. vielleicht sitzt da irgendwo eine ganze gruppe menschen drin. oder eine gruppe papageien. eine gruppe papageien, die redet den ganzen tag. das reicht ja auch schon.

der frauenkörper ist jung und räkelt sich und verspricht und verkauft uns etwas. der frauenkörper trägt ein geheimnis. das enigma des frauenköpers ist, dass er etwas schafft, dass er begehren, dass er leben schafft. der frauenkörper schafft einen mehrwert. mehrwert ist, wenn mehr rauskommt, als man reintut.


EIN TEMPORÄRER CONTAINER FÜR DIE KÖRPER DER ZUSCHAUER, logbuch suhrkamp onlinemagazin LINK >>>

der theatersaal denkt die körper der zuschauer mit. die körper im saal sind traurig oder erregt, müde oder amüsiert, sie husten, lachen oder verlassen den saal. es gibt eine reaktion, die sich durch den körper niederschlägt, durch unruhe, anspannung, ausgelassenheit. durch angespannte aufmerksamkeit, indifferenz oder heiterkeit. die vielen körper erzeugen etwas, das nur für die dauer der vorstellung existiert.

das theater ist anachronistisch: es ist nicht teil einer bestimmten zeit, es ist teil jeder zeit. die zeitform des theaters lautet: immer wieder und nur genau jetzt, seit langem schon und noch nie so.

im theater berühren sich zeitlosigkeit und aktualität, flüchtigkeit und wiederholung. theater ist zeitloses durch die haut der vergänglichkeit, ephemeres durch die haut der institution.

das theater ist körperhaft, wie die stimme, wie der raum, wie das licht. das theater ist nicht digital. das digitale ist auf den körper nicht angewiesen. das digitale vervielfältigt die information und isoliert die körper. der digitale inhalt bedenkt die körper der zuschauer nicht mit. der digitale inhalt zirkuliert unabhängig von der physischen präsenz und aufmerksamkeit der zuschauer. er genügt sich selbst, er bildet einen zweiten raum, in den der körper keinen zutritt hat.


DIE FINGER INS LAND WERFEN, Burgmagazin, März/April 2016, Heimatlos

da geht man dann entlang, knöcheltief im wasser, und zieht mit dem finger die grenzen entlang, die landesgrenzen,
und kontinentengrenzen, und gezeitengrenzen, und wohlstandsgrenzen, und endzeitgrenzen, und wenn man nicht mehr hineinkommt,
dann wirft man den finger nach, dass zumindest der finger drin ist, dass zumindest ein fingerzeig darauf verweist, dass wir auch da sind, sagen die einen.
der finger liegt blutend in irgendeinem land, und wir lachen. als ob das eine geschichte erzählt, als ob das aussagt, etwas, später,
wenn die anderen sich erinnern werden an uns. wer wird das sein.


BROCKEN AUS SOMMER UND WINTER, Arbeitsskizzen, tw publiziert in manuskripte ua.

durch den wald gehen, und die zweige brechen. durch den wald gehen, und die weißen augen herumwerfen
und unter die blätter bohren. über die brechenden zweige gehen, und die weißen augen drehen, sich durch den wald durchschütten im kreis, und das weiß der augen verdrehen: das augenweiß auswringen wie kochwäsche bei 90 grad, und die zweige brechen, über die zweige gehen, und die blicke brechen, die sich verlieren im weiß. : (wir sind durch den wald gegangen, ich habe mich umgesehen)

ich habe das knacken eines zweiges gehört.

wir sind beim feuer gesessen, und haben mit dem finger striche in die karten gelegt: die striche sind ausgestreut wie kleine boote, die finger sind in der karte gelegen, /die karte war mit fingern übersäht, die falten der karte sind voll mit fingern gelegen, die striche der finger haben die rillen der karte gequert, die kleinen boote sind routen abgefahren auf dem land, niemand hat die boote gestoppt, /keiner hat die boote gestoppt und angehalten, das feuer ist bei uns gewesen, um uns herum, das feuer ist nicht von seiner stelle gerückt, die stelle des feuers hat sich ausgeweitet um uns, das feuer hat uns umarmt, die finger sind in der karte gelegen, wir sind im feuer gestanden, du hast das feuer umarmt, ich habe mich in die karte gewickelt, es ist dunkel geworden, die karte hat feuer gefangen, ich bin in der brennenden karte gelegen, ich bin in der brennenden karte über den platz hin gerollt, der platz hat feuer gefangen, die lichtung hat gebrannt, /mein finger, in der karte, die finger, im feuer, im boot.
wir klappen die karten ein, und nehmen die finger zurück, als ob man sie noch brauchen kann.


AUF FREMDEN BILDERN (GRÜßE VOM MICHAELERPLATZ), Anthologie exil Literaturpreis 2015

komm, wir nehmen einen der steine, aus denen der pflasterboden sich webt, und werfen ihn dem kutscher ins gesicht. vielleicht ändert er die richung, vielleicht besinnt sich das pferd.


RAND

Dramatis Personae: Einige Astronauten, Einige Soziologen, Eine Soziologin (F), Eine ungerade Anzahl an Tetrissteinen, Ein unbeteiligter Beobachter, Das letzte Einhorn, Chor der Kakerlaken, Ein Priester / Ein Kammerjäger, Ein liebeshungriger Terrorist (M), Polizei/Rettung/Feuerwehr

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TETRISSTEIN

ich bin ein einfacher blauer tetrisstein und ich lebe die weisheiten meiner ahnen und urahnen.

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DIE TETRISSTEINE

tetrisstein ich bin ein tetrisstein.

tetrisstein ich bin auch ein tetrisstein!

tetrisstein hallo!

tetrisstein wollen wir kuscheln?

tetrisstein schau mal, mein rand. sieh mal, meine flächen. zeigt eine ecke. magst du mich da mal anfassen?

tetrisstein uh. das passt ja genau da rein.

sie stecken sich ineinander.

tetrisstein ja, oh ja. oh!

tetrisstein das passt ja genau.

tetrisstein und hier nochmal.

tetrisstein uh!

tetrisstein ah!

die tetrissteine schieben sich ineinander.

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EIN PRIESTER

ein priester läuft über die bühne, verbreitet weihrauch zwischen den zuschauerreihen in voller montur.

ich muss das hier mal kurz ausräuchern. ich kann die armen seelen nicht alleine lassen. muss hier mal zwischendrin kurz die ränder ausräuchern. ich lauf immer mal durch und muss die ränder ausräuchern, die ritzen, damits da nicht fault und stinkt. die sind ja voll die ränder, das ist alles voll.

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DIE SOZIOLOGIN

ich denke viel über die ränder nach, ich bin ja selber nie dort. ich denke ja gerne über die armen geschöpfe am rand von allem nach, es betrifft mich ja nicht. manchmal bekomme ich mitleid mit ihnen, dann streiche ich mit dem finger die statistiken entlang und denke mir, hinter jeder zahl steckt ein mensch, in jeder zahl steckt ein mensch und kommt nicht heraus.

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DER TERRORIST

ist mir scheißegal, ob sie mitsingen.

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ich werde jeden einzelnen von ihnen festnehmen, ich werde jeden einzelnen von ihnen knebeln, ich stopf ihnen einen jutebeutel in den mund, ja dir auch, lach nicht so blöd, ich werd euch alle knebeln.

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haha ich erzähle jetzt etwas, und jeder, der lacht, wird erschossen. nach der reihe. oder jeder, der nicht lacht, wird erschossen. am ende werden alle erschossen, nach der reihe. am ende ist keiner mehr da, aber alle haben es sich gemerkt.

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TORE IM ASPHALT

wir schreiben sommer, wir finden uns ab mit vielem, wir krebsen nach unseren schatten, die zeichnen tore in den asphalt, die zeichnen augen von dem, was noch kommen wird, von dem, was winkt vom anderen ufer der straße, schüchtern uns zu. sie zeichnen ein auge, sie locken; mit etwas vorsicht fallen wir vielleicht hinein. ich strecke die hand, ich grüße den sommer, ich schließe die augen, ich krebse mir nach. deiner hand im wind flattern die finger wie fahnen, deiner hand im wind zieht der sommer die finger lang. aus dem aug fallen sporen mit lüsternen haken ins tor. wir winken uns zu, ich dir und du mir, und krebsen im wind, der bewegung entgegen. dazwischen strecke ich die hand aus dem sommer zum gruß und die finger flattern im wind wie friedliche fahnen dabei. ist es möglich, sie zeigen die richtungen an, die wir alle nicht gehen? jeder richtung eine fahne, einen eigenen wind, jedem wind sein eigenes auge.wir schreiben sommer, wir finden uns ab mit vielem, wir krebsen, die hand gestreckt, wir winken dem tor im asphalt, das sich öffnet, das sich schließt, das uns lockt.


(unformatiert, aus: Gedichte, abgedruckt in manuskripte, Zeitschrift für Literatur, Heft 221)


EUROPA FLIEHT NACH EUROPA

Besetzung: europa und der stier, chor der schwestern, die schwestern der zeit, das leben, die kleinen könige, der gelehrte, zwei bauern, ein kind, ein conquistador, ein priester, ein pfarrer, chor der putzkolonnen, der regenbogen, der wissenschaftler, chor der wissbegierigen, die kinder

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EUROPA

ich bin mit meinen schwestern im wasser gewesen, wir haben kränze in die luft geworfen und über unsere köpfe gesetzt. wir standen knöcheltief im offenen meer, das sich lange in die weite streckt, bevor es an tiefe gewinnt. von weitem hat eine stierherde sich uns genähert. die erste hat ih

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aber dann kam alles ganz anders.

der stier verfällt meinem blick und ich töte ihn mit einer spitze aus meinem haar. ich zupfe es mir vom kopf und steche es ihm mitten ins herz. sein herz wird hart und das blut versickert im körper.

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europa hackt dem stier den kopf ab und steckt ihn auf einen pfeiler.

der stierkopf schweigt mich an. der tote stier sagt nichts mehr. der tote stier hat nichts mehr zu sagen. nein.

ich erzähle euch noch mehr, ich erzähle euch noch was! hier beginnt ein neues kapitel, hier beginnt das kapitel hoffnung! hier beginnt die hoffnung, hier, woich stehe. sie beginnt hier mit jenen, die aus meinem schoß ins weiche gras kullern, ins satte leben rollen werden, aus meinem schoß mitten ins leben hinein. die kinder der zukunft fallen in diese erde. hier beginnt alles neu, wo ich ein freies land gründen werde, das meinen namen tragen soll. dieser kontinent, die geschichtsbücher sollen ihn nennen nach mir. ich muss hier nichts erobern, und ich muss hier nichts befruchten, nein! die kinder, die sein neues volk bilden werden, wachsen aus den blütenkelchenmeiner liebe! die künftigen kinder dieser erde werden aus dem saum meines kleides fallen, hinein in die blütenkelche des schönen lebens, und sie werden die zukunft dieser erde und die reine hoffnung sein!

ihr kinder, die ihr das neue sein werdet, auf die ich meine hoffnung setze! ihr sollt fröhlich sein, im sommer und winter einen freundlichen kontinent bevölkern!

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europa bewirft die ballgäste mit kuchen. gerechtigkeit für alle!
die ballgäste feuern mit brot zurück. brot fliegt auf die bühne. europa duckt sich.
der gelehrte: vorsicht, vorsicht! die kommen aber schroff daher mit ihrer gerechtigkeit.
europa: huch! duckt sich. ich hab mein bestes kleid an! das brot macht immerhin keine flecken.

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europa hebt das kleid hoch, darunter ist ihr rumpf übersäht mit zitzen. zeigt dem publikum ihre zitzen. putt putt putt!
die milch ist mir ausgegangen, da ist keine milch mehr in diesen brüsten drin, da ist nichts drin, in den brüsten ist nichts mehr drin, in den brüsten ist nur silikon drin! sieht das denn keiner?
puttputtputtputtputt
puttputtputtputt
puttputtputt
puttputt
lässt das kleid wieder fallen.

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DIE KLEINEN KÖNIGE

die kleinen könige

ich habe recht.

wir haben recht.

/wir haben das recht/

wir haben recht, weil wir gewonnen haben.

wir haben recht, seht ihr das nicht.

wir haben das recht, seht ihr uns denn nicht.

ich bin der könig. alle anderen sind gestorben über meinem schwert.

ich bin der könig, alle anderen sind gestorben unter meinem schwert.

ich bin der könig, alle anderen sind gestorben durch mein schwert.

zeigen jeweils ihre kinderschwerter dabei hoch.

wir sind eine kleine runde an kleinen königen.

wir gehen immer im kreis.

wer als letzter noch steht, hat verloren.

du hast verloren.

alle haben verloren, alle haben ihr leben verloren.

die anderen haben alle verloren, die anderen haben alle ihr leben verloren.

gewonnen!

gewonnen!


DIESE MAUER FASST SICH SELBST ZUSAMMEN UND DER STERN HAT GESPROCHEN, DER STERN HAT AUCH WAS GESAGT.

Figuren: figur 1+figur 2+figur 3 / der stern / die putzkraft / das hologramm / der stein bzw. die mauer / die institution / ein stück speichel

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FIGUR 1: was in der ausschreibung drinsteht, kann nicht falsch sein, weil ich sie gewonnen habe.
FIGUR 2: wir haben die ausschreibung gewonnen, also muss sie wahr sein.
FIGUR 3: wir sind alle hergekommen, daher wird es schon stimmen, was in der ausschreibung steht.
FIGUR 2: die ausschreibung kann nicht falsch sein, denn wir haben sie alle gelesen.
FIGUR 3: das ist mein sieb. das stand sicher in der ausschreibung.

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DER STERN

ich bin aufgewacht und war allein, irgendwann. ich habe die arme zurückgezogen, die ausgestreckt waren, weil ich sie so lange schon ausgestreckt hielt. aber da war nichts, was die fingerspitzen hätten berühren können. ich war allein vor einem blauen himmel und ohne die anderen sterne. es war vor zehn, vor zwanzig oder vor hundert jahren. da war keine wolke am himmel. ich habe die sternenarme eingezogen und bin umhergegangen, untergegangen, nein umhergegangen, ich war gelb, so wie ich jetzt gelb bin. ich war so wie immer, so wie ich immer bin. alles war so wie immer, nur anders. ich war allein. ich habe die arme eingeklappt und war traurig. ich habe mich im kreis gedreht, aber die arme hingen nur schlaff zur seite. ich habe gerufen, aber da kam nur ein leuchten, als antwort, ein kleines gelbes leuchten, und das war ich selber. das kam aus mir selbst heraus. ich war ein fernes flackern im all, ich war ein kleiner fleck und um mich nur der himmel. ich war der einzige stern. wo sind alle? warum? (singt its my party and i cry if i want to)

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DER STERN (der letzte stern der onion)

es heißt, ich spreche im delilarium. aber das ist nicht wahr. ich spreche, und ich

spreche klar.

schreit unverständliches wirres zeug.

zwiebel: zwiebelringe, zwiebelherz.

zwiebelstern

und zwiebelaug, ich hab dich gern.

ich bin schon zu lange da. ich glaube, ich bin schon viel zu lange da! ich habe alle

gern!

ich glaube, die haben mir was implantiert, oder programmiert, die haben mich

irgendwie programmiert, das sternengenominom, die haben mich geklount, ich

glaube, ja, nur ich bin ich, die anderen sind gar nicht ich, manchmal merke ich das,

aber es ist nicht schlimm!

ich will euch umarmen, aber dann bin ich voller zacken und es tut weh. niemand will

umarmt werden von mir, aber ich stehe doch für den frieden und die frutarnität, ich

stehe doch für die idee der onion, die montan, ich meine, die momentanonion, ich

meine, da gibt es kein kochrezept, da muss man durch. was ist mit der onion?

fischt einen zettel aus dem putzkraftkübel.

liest. zuerst die zwiebel fein zerhacken und fein zerschneiden. zuerst schälen und

fein abziehen und dann zerhacken. zuerst fein zerhacken von links und rechts und

oben und unten, die zwiebel hacken. zuerst zerhacken und dann jedes einzelne stück

nehmen und vorsichtig wieder zusammenkleben. ganz wichtig. die

zusammengeklebte zwiebel vorsichtig wieder in die sauce legen. kurz warten und

schwenken. wie es weitergeht kann ich nicht mehr erinnern, jedenfalls kann man

aber die die sauce und die zwiebel nicht essen, die sind dann natürlich giftig, wegen

dem klebstoff.

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FIGUR 1

ich habe eine ausschreibung gewonnen. mir wurde gesagt, ich habe eine ausschreibung gewonnen, und ich wurde damit beauftragt, eine wichtige aufgabe zu erfüllen. nimmt ein großes sieb. hier geht es um die zukunft! hier geht es um eine mission. die wichtigste mission meiner zeit. ich bin bereit. ich bin bereit! ok. wo bin ich?

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DER STERN
mein gott. dann wache ich auf aus meinen tagträumen. ich hänge halb aus dem bett. das bett ist viel zu schmal für mich. was hast du dir wieder gedacht, denke ich mir. das bett ist viel zu schmal, ich bin doch ein stern.

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DIE INSTITUTION

ich bin die institution, ich bin die institution, ich piep dich von vorne, ich mach dich onion! ich piep dich von hinten, ich piep piep piep, ich hab euch alle lieb. ich mach die ganze piep, ich piep die ganze piep, ich mach die ganze piep, piep in meinem piep, piep piep piep! piep piep piep piep piep! piep piep piep piep piep! wir werden alle gepiept, ihrwerdet alle gepiept. alles ist verpiept, wir werden alle gepiept, wir werden alle gepiept, ihr werdet alle gepiept, ihr werdet alle gepiept, wir werden alle gepiept!!!


DIE HOCKENDEN

im grunde gibt es nichts zu sagen, aber gesprochen wird viel.
gesprochen wird viel, und dann fällt es runter irgendwo und verklumpt.
gesprochen wird viel, und dann liegt es rum irgendwo.
hier ist schon viel gesprochen worden. hier wurde schon einiges gesagt, in den boden hinein.
dann hat einer rumgetreten drauf und feste erde daraus gemacht.
auf so einem boden steht man immer nur so gut man kann.
so gut es geht.
wer weiß auf welchem grund man da steht.
da sitzt es sich gut.

wer weiß aus was für einem boden man da wächst, oder was das für eine erde ist, in der wir da stehn, oder
kennt schon den grund, den grund für oder von oder gegen irgendwas.

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man spürt es fast schon keimen.
man spürt fast schon, dass es keimt, wenn man da so sitzt.
es keimt einem fast schon von unten hinein, wenn man da so in der mulde und auf der eigenen hoffnung drauf sitzt.
wenn man da wirklich lange so in der mulde drinsitzt, dann keimt einem die hoffnung von unten und in einen fast schon hinein.
wir sitzen gerne da.
wir sitzen sehr gerne hier.
wir sitzen hier gern.

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am fortsatz des gestreckten armes lässt sich der finger ausfahren. fährt der finger aus, ist es, als zeige einer mit dem pfeil auf einen anderen. ist einmal so der pfeil auf einen gerichtet, weiß jeder, wo er draufprügeln muss.


TASCHENTUCH

in einer wiese liegen die früchte am boden, gefallenes licht, und licht, das sich an äste klammert; und kinder mit schrammen rollen vorbei und weinen. jemand schiebt einen fluch vor sich her, jemand lässt einen stein fallen, in die am boden verteilte musik, in die ich meine finger tunke, die müde hand. wenn du sprichst, will ich nicken, will ich mein ja hochheben wie einen rock. unter dem rock liegt die wahrheit. die hand schnellt hoch. hinter uns winkt uns eine mit ihrem taschentuch zu:  plötzlich ist nichts mehr belanglos. in der pfütze das licht, das sich sammelt, und auf der station, jemand, der malt mit dem schuh eine erzählung hinein: "hier bin ich." nimm deinen schuh aus dem wort, setze den punkt und werfe den stein, einen letzten, knapp an der erkenntnis vorbei: über die körnung des asphaltes zieht schon der tag.

(unformatiert, aus: Gedichte, abgedruckt in manuskripte, Zeitschrift für Literatur, Heft 221)


SCHRITTE UND RAUM ZWISCHEN SPIEGEL UND BETT

meinen namen und das passwort habe ich vergessen, auch die straße, in der ich aufwuchs, den namen meines ersten haustieres, den mädchennamen der großmutter und meinen ersten flug, auch diese sicherheitsfragen, alles habe ich vergessen, nur die eigene augenfarbe könnte ich noch eruieren, jetzt sofort, vor dem spiegel, und auch der abstand zwischen den fingern an der hand ließe sich ausmessen, und die krümmung ist schnell auf einem kleinen blatt notiert, das neben dem bett liegt, am boden; außer es hat einer aus unachtsamkeit schon unter das bett gekehrt. das heißt, es liegt vielleicht nicht mehr da, lag nie da, und ich habe mich getäuscht; aber wenn ich es doch finde, dann passt es vielleicht genau in die kante, die sich mir aufspannen lässt zwischen daumen und zeigefinger, und vielleicht habe ich es nur verabsäumt, bis jetzt, die dinge auszumessen mit den winkeln, die sich mit jeder bewegung in den körper spannen, der sich dreht, wie ein kreisel und auf den pass mit dem bild darin zu, das vielleicht unter diesem blatt liegt, die beide aufeinander liegen vielleicht, unter dem bett und einer schicht staub, die man nur ergreifen muss mit den ausgespannten fingern. vielleicht ist es dieses anspannen, vielleicht sind es die kanten und das alte gesetz der winkel, vielleicht vermisst sich allein damit die welt, womit sonst eigentlich, nur zwischen daumen und zeigefinger gespannt sagt mir ein orakel, wer ich gewesen bin, bevor ich mich anlegte, und alle fragen vergaß, wie soll sich eine auch so viele fragen merken!

(Textausschnitt, abgedruckt in manuskripte, Zeitschrift für Literatur, Heft 219)


Gi3F (Gott ist drei Frauen)

DIE ERDE

hallo, ist da jemand? ich wollte nur sagen, dass ich da bin. 

hört mich jemand?

es ist so dunkel. hallo?

ich hab so viel zu erzählen, ich habe so eine lange geschichte.

zuerst war es ganz heiß. als kind hatte ich ein langes fieber. 

dann ist haut gewachsen über die wunde. eine dicke haut ist gewachsen, die so dick war irgendwann, dass sich meere darauf gebildet haben und land.

ich habe mich gedreht und nachgedacht, lange war nichts.

plötzlich sind amöben herumgekrochen auf mir und salzkörnchen und staubkörnchen und pilze und säugetiere sind in heerscharen über mich drübergetrampelt.

gejuckt hat es und gekitzelt und ich musste lachen, als ob es meine kinder wären. 

es war immer etwas los.

das leben mochte ich gern, aber es ist schnell unübersichtlich geworden, alles davon. 

ich mochte es lange und es wurde immer mehr. es kratzte mir in die haut und landete als leiche in meinem meer. 

eines morgens hat es schon so gewimmelt, und dann ist etwas passiert.

eines morgens hat es so gewimmelt, dass beim drehen einige abgefallen sind.

sie fielen in kleinen stahlkapseln von mir ab. 

da sah ich sie zum ersten mal, da haben wir uns angeblickt, als sie um mich herumgekreist sind. 

sie hatten ein augenweiß und starrten. 

da ist mir schlecht geworden. 

was starrt ihr so, hab ich mir gedacht. 

ich habe getan, als sei nichts. ich habe immer versucht, mich ruhig zu verhalten.

ich habe mich einfach weitergedreht, damit niemand verdacht schöpft.

flüstert.aber ich weiß, sie beobachten mich, ich weiß es. ich bin ja nicht blöd. sie beobachten mich, sie planen etwas. das kann ich spüren.

ich tue so, als sei nichts, aber ich weiß, dass das nicht stimmt. etwas hat sich verändert.

sie lauern mir auf. 

flüstert.sie sind verrückt geworden.

JENS/Der letzte Mensch

von gott habe ich mir diverse botschaften durchgeben lassen, immer im glauben,

es würde endlich besser. er denkt ja doch an uns. das schicksal hat mir immer den weg gewiesen, aber

manchmal war es einfach nicht klar genug. brüder und schwestern, habe ich geschrien, und eine

handgranate geworfen, mitten in die menge hinein. das werden wir noch sehen, sagte ich nach abwurf

der bombe, und habe die größte gebaut, die es jemals geben sollte, die habe ich von überall

heruntergeworfen, das macht mir keiner nach, habe ich geschrien, und immer neue dinge erfunden,

bis alles voll war davon, immer mehr erde umgegraben, bis alles sauer war, es gibt keine grenzen,

habe ich geschrien, ich bin meine eigene grenze! brüder und schwestern! ich habe immer mehr

abgeschlachtet, abgeschöpft und abgefüllt, geköpft und krepieren lassen und gefoltert und zerheckselt

und angezündet, mit gift besprüht und sterben lassen, dann bin ich ins all geflogen und habe mir das

ganze einmal von oben angeschaut. so sieht das also aus. ich muss immer weitermachen, das nimmt

mir keiner ab, es muss immer weitergehen, es muss immer weitergehen, immer weiter, da ist kein

ende in sicht, ich höre nicht auf, mich kriegt ihr so schnell nicht unter, ich bin hier nämlich noch lange

nicht fertig!


DER SPRECHER UND DIE SOUFFLEUSE

DER ELEKTRIKER: 

hat jetzt das kabel entrollt, kommt langsam nach vor, zum publikum. ich weiß nicht, ob ihnen das schon einmal aufgefallen ist, aber da sind so kleine kabel, da sind so kleine kabel drin, sehen sie? die sind farblich sortiert, da ist der strom drin. der strom geht zum beispiel durch das mikrofon in den boden rein und durch die wand und oben in die decke und da kommt er wieder raus. hier, schauen sie. der strom geht überall durch, der strom geht überall ein bisschen durch, da ist gar kein ort, wo am ende nicht ein bisschen strom durchgeht. man wird ihm nicht herr, und man bekommt ihn nicht zu gesicht. nur reinwerfen kann man sich und hoffen.

++++

DIE SOUFFLEUSE: zum Publikum das war der beste abend bis jetzt. das wollte ich ihnen noch sagen. mit ihnen war es bisher am besten.


DIE GERÄUSCHE DER KÜHLMASCHINEN, Kurzstück, kolik 52, Zeitschrift für Literatur

Stammgast: Sobald ihr es wisst, werde ich dem Eisverkäufer ein Zeichen geben.

Frau: Er wird wieder nicht reagieren auf ihr Zeichen, wir haben es doch vorhin schon

gesehen.

Mann: Auf mein Zeichen hat er auch nicht reagiert, ich habe vorhin gewunken, so. (Winkt.)

Eisverkäufer: (Kommt.) Wenn ihr euch enschieden habt, werde ich die Bestellung

entgegennehmen, dafür werde ich bezahlt.

Mann: Wir haben uns noch nicht entschieden.

Frau: Wir haben die Situation nur durchgespielt.


SIND NICHT GEMACHT FÜREINANDER, SAGT DIE ORDNUNG UND DAS CHAOS WEINT
(kurzes zu transit und leben), Transit Transit/ Spielzeitheft HLTM

am anfang war eine ordnung und ein chaos, und die zwei trennten sich, und da war eine grenze. du, wir passen nicht mehr zusammen, sagt die ordnung zum chaos, und das chaos ist traurig; und alle tage dazwischen platzen heraus, plötzlich, und in die welt hinein, und die welt teilt sich in tage und in zeit. seid ihr bereit? und die ordnung und das chaos raufen sich nocheinmal zusammen, und stellen eine sonne auf, damit tag ist, und einen mond, damit nacht ist, damit nicht immer dasselbe ist. die tage wechseln sich ab und befreunden sich mit der zeit. die grenze legt sich zwischen das chaos und die ordnung, und die welt wird unheimlich kompliziert. wir sind nicht füreinander gemacht, sagt die ordnung, und das chaos weint und die grenze schaut weg, und aus der tasche fällt ihr ein lineal.

geht man eine grenze entlang, kommt sie mit, herrgott, das ist alles so kompliziert, legt sich ins bett zu chaos und unordnung dazu, bitte entschuldige, das ist alles schon so, auch ohne dich alles schon so unendlich kompliziert; sagt die grenze, dafür bin ich ja da, ich mach es einfacher, ich mach alles so viel einfacher, schaut nur einmal her. links, rechts, links, rechts, rechts, links, seht ihr nicht?


GEDICHTE, manuskripte 221, Zeitschrift für Literatur

BERICHTE VON DRÜBEN

gegenüber gehen schon die lichter aus, da stellt sich einer ans fenster und starrt vor sich hin, ganz lang, bis er mit dem fensterglas verschmilzt, und dahinter ausgespuckt wird: jetzt läuft er im dunkel den rasen entlang, und ich winke ihm zu, aber auch nur solang meine hand nicht an der scheibe bricht, immer und immer wieder: irgendwann hängt die hand schon vom knöchel, irgendwann ist es die hand, die bricht. das winken hat gegen das fenster geschlagen, das winken der hand hat zu oft und zu fest gegen das glas des fensters geschlagen: die durchsicht des glases hat die bewegung der hand erschlagen: die hand ist mir im winken erschlafft, die hand ist im falschen winkel und nur wegen dem fenster erschlafft, der mann ist verschmolzen mit dem glas, der mann läuft über den rasen, verfolgt vom licht, ich klopfe von innen gegen das glas, die sirenen jaulen, die sirenen hat jemand am nacken hochgezogen und gegen die wand geschleudert, die sirenen jodeln, die sirenen jodeln das vaterlandslied, die sirenen sind auf der flucht, die sirenen sind auf der jagd, die sirenen sind losgerannt als ob es ihr einziges leben wär: der mann stolpert, der mann stolpert und bricht, das licht geht an über ihm, das licht der scheinwerfer wird auf ihn gerichtet, der mann öffnet den mund, das licht der scheinwerfer explodiert in seinem aug, sein gesicht ist erstarrt, jemand hat die sirenen angemacht, es ist vorbei, er hebt die hand: ich stehe vor dem fenster, gegenüber stand ein mann vor der scheibe, ich sah kurz weg, das licht ging aus, er erschien auf dem rasen.

(unformatiert, aus: Gedichte, abgedruckt in manuskripte, Zeitschrift für Literatur, Heft 221)